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Ob vor Gericht oder auf der Straße - ukrainische Journalist:innen passen sich den neuen Gegebenheiten an. ©Lâm Duc Hiên / Agence VU' für Fondation Hirondelle Ob vor Gericht oder auf der Straße - ukrainische Journalist:innen passen sich den neuen Gegebenheiten an.

Welche Kriegsjustiz in der Ukraine? Die Informationsproblematik une die Rolle des Medien

Informationen, ob allgemeiner, humanitärer oder justizieller Natur, sind für die vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen unentbehrlich. Seit dem Beginn der russischen Offensive am 24. Februar 2022 benötigen die unabhängigen lokalen Medien, vor allem in den annektierten, inzwischen zurückeroberten Gebieten, Unterstützung, um zu überleben und ihre Rolle weiterhin wahrnehmen zu können. In diesem Kriegsumfeld müssen alle, die im Informationsbereich tätig sind, ihre Arbeitsweise und Verbreitungsmethoden anpassen. Mehr denn je kommt es darauf an, die Öffentlichkeit zu informieren und Zeugnis abzulegen, wobei es nicht einfach ist, das richtige Gleichgewicht zu finden und niemanden einer Gefahr auszusetzen. «In der Ukraine haben wir gelernt, dass Information Leben retten kann», erklärt Oleksiy Soldatenko, Koordinator der Stiftung Hirondelle in der Ukraine. Nach dem Ausbruch des Krieges führte die Stiftung Hirondelle ein Notfallprogramm zur Unterstützung ukrainischer Journalist:innen und unabhängiger Medien ein. Dieses Programm wird von der Glückskette sowie durch private Spenden gefördert.

Wie im Oktober 2022 beim KOFF-Rundtisch zum Thema Information und Medien erörtert, bei dem auch Caroline Vuillemin, Generaldirektorin der Stiftung Hirondelle, zugegen war, nehmen Friedensakteur:innen die Medien mitunter als Beteiligte oder Vektoren von Konflikten wahr. Die Stiftung Hirondelle hat dagegen die Erfahrung gemacht, dass Medien durchaus als reelles Instrument für den Aufbau von Frieden und Dialog fungieren können, wenn sie die Grundwerte des Journalismus hochhalten, wie etwa «öffentliches Interesse», «Ausgewogenheit» und «Ethik». Ein solcher Journalismus stärke einerseits das Vertrauen der Bevölkerung, so Caroline Vuillemin, und schaffe andererseits Raum für Dialog – wenn nicht über eine absolute, dann doch über eine gemeinsame Wahrheit und ein einheitliches Faktenverständnis.

Ebenso wie der Krieg die journalistische Arbeit beeinflusst, so wirkt er sich auch auf die Inhalte aus, die in bestimmten Medien zirkulieren. Bereits während des Donbass-Konflikts nahm die Desinformation neue Dimensionen an. «Wir befinden uns in einem Informationskrieg, in dem es darum geht, die Moral und das Vertrauen der Menschen zu gewinnen», betont Oleksiy Soldatenko. In diesem Kontext können sich soziale Netzwerke zu überaus wirkungsvollen Mitteln für die Verbreitung von Falschmeldungen entwickeln, oft unbemerkt von den Kontrollmechanismen dieser Plattformen.

Die Unterstützung lokaler Medien, insbesondere in den annektierten oder zurückeroberten Gebieten, sichert ihr Fortbestehen, sodass sie weiterhin Produktionen erstellen und Desinformationskampagnen entkräften können. Doch geprüfte, vertrauenswürdige Informationen erfüllen nicht nur einen praktischen Zweck, sie haben auch eine enorme psychologische Bedeutung. Sie fliessen in Entscheidungen ein und stellen für Hörer:innen oder Leser:innen, die von der Aussenwelt abgeschnitten sind, eine Stütze dar. Diese Einschätzung deckt sich mit den Rückmeldungen zur Hilfe, die die Stiftung Hirondelle leistet: Die meisten Medien, die vom Notfallprogramm profitiert haben, konnten sowohl die Quantität als auch die Qualität der produzierten Inhalte steigern. Auch wenn häufige Internetbeschränkungen und -ausfälle in den besetzten Gebieten den Zugang zu Informationen erschweren, ist es diesen Medien gelungen, ihr Publikum zu halten oder sogar zu vergrössern (in einigen Fällen um bis zu 50 Prozent).

Eine weitere strategisch wichtige Komponente des Krieges ist die Justiz. Schon früh hat die Ukraine beschlossen, sich auch mit den Waffen der lokalen und internationalen Justiz verteidigen. Für die Medien bleibt die Gerichtsberichterstattung ein eigenes Metier, das spezielles Fachwissen erfordert. Durch die rasche Einführung von lokalen und internationalen Verfahren im Zusammenhang mit dem Krieg ist bei den ukrainischen Journalist:innen, die über die Prozesse berichten, ein erhöhter Bedarf an Weiterbildung und Unterstützung entstanden. Die juristische Seite des Krieges abzudecken, heisst, die Öffentlichkeit über Verfahren und Instrumente zu informieren, die die Wahrheit über begangene Kriegsverbrechen ans Licht bringen sollen, aber auch die Rolle und Zuständigkeit lokaler, nationaler und internationaler Gerichte verständlich zu machen. Die Berichterstattenden befinden sich in einer schwierigen Position: Einerseits sind sie Zivilpersonen und somit Konfliktbetroffene, andererseits sachliche, neutrale Beobachtende. Die Stiftung Hirondelle möchte ihnen bei dieser wichtigen Herausforderung zur Seite stehen.

Als Reaktion auf diese Situation bietet unser Online-Medium JusticeInfo.net, das auf aktuelle Themen der internationalen Justiz und der Übergangsjustiz spezialisiert ist, Weiterbildung und Beistand für ukrainische Journalist:innen an, die über Prozesse im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine berichten. Für Thierry Cruvellier, Chefredakteur von JusticeInfo, bedeutet über Kriegsverbrecherprozesse zu berichten, die Geschichte der Besetzung zu erzählen, und zwar in Echtzeit aus der Perspektive der Opfer. Seit Juli 2022 werden in Zusammenarbeit mit lokalen Ressourcen, wie Richter:innen und anderen Fachpersonen, zwei Weiterbildungen angeboten, die guten Anklang finden. Darüber hinaus veröffentlicht die Redaktion von JusticeInfo diese Berichte in vier Sprachen (Ukrainisch, Russisch, Französisch und Englisch) auf ihrer Plattform und trägt so zur Verbreitung bei. Gemeinsam mit den Korrespondent:innen in Den Haag verfolgt und analysiert JusticeInfo sämtliche Verfahren zum Krieg in der Ukraine vor internationalen Gerichtshöfen.

*Dieser Artikel ist in der Februar 2023-Ausgabe des Magazins "À Propos" der Schweizer Plattform für Friedensförderung KOFF erschienen.